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ViEW

Unser Newsletter für institutionelle Investoren

„Durch den Klimawandel entstehen neue Risiken, die bei Investitionsentscheidungen zunehmend berücksichtigt werden sollten.“

Auch diesmal bieten wir Ihnen interessante Denkanstöße, die den Bogen vom heutigen Kapitalmarktumfeld bis hin zu langfristigen Trends schlagen. Neben aktuellen Informationen rund um die Immobilienmärkte befassen wir uns mit der Frage, inwiefern der Hype um KI-Aktien mit der Dotcom-Blase vergleichbar ist und wie es um das Rendite-/Risikoprofil bei Anleihen bestellt ist. Darüber hinaus erörtern wir die Wahrscheinlichkeit verschärfter globaler Handelskonflikte.

Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen den Beitrag zu den langfristigen Kosten des Klimawandels und deren Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Er verdeutlicht die ökonomische Dimension und den akuten Handlungsbedarf.

Ich wünsche Ihnen wieder spannende „ViEWs“!
Ihr Frank Becker

Blick auf den Immobilienmarkt 2024

  • Der globale Immobilienmarkt wird in diesem Jahr voraussichtlich einen Wert von etwa 583 Billionen Euro erreichen.
  • Das Segment Wohnimmobilien bleibt mit einem geschätzten Volumen von rund 474 Billionen Euro führend.
  • Im weltweiten Vergleich wird China mit einem erwarteten Immobilienmarktwert von circa 124 Billionen Euro den größten Anteil haben.
  • International zeichnet sich der Immobilienmarkt weiterhin durch eine wachsende Nachfrage nach nachhaltigen und energieeffizienten Gebäuden aus.
     


Quelle: Statistisches Bundesamt

Handelskrieg ante portas?

Der internationale Handel war immer auch ein Reflex der jeweiligen globalen politischen Situation. Hatte die globale Arbeitsteilung einen temporären Hochpunkt kurz vor dem Beginn des ersten Weltkrieges erreicht, lag sie nach zwei Weltkriegen am Boden. Der internationale Handel war zunächst auch ein Instrument zum ökonomischen Aufbau Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges kam es zu einer Periode einer immer stärkeren Handelsverflechtung, dem Aufstieg Chinas und dem Beitritt Chinas in die WTO, die Entwicklung Chinas zur de facto Werkbank der Welt und einer immer dominierenden Rolle Asiens in der Weltwirtschaft.

Börsen weltweit profitierten von dieser Entwicklung. Freier Handel erlaubt die Nutzung komparativer Vorteile, Produktivitätsgewinne und damit disinflationäre Trends. Dies ermöglicht expansivere Notenbankpolitik. Zusammen mit der Vergrößerung der Absatzmärkte gerade für multinationale Unternehmen war dies von daher ein wesentlicher Faktor für die positiven Kapitalmarkt-Performances in den 30 Jahren nach dem Mauerfall. Zudem hat dieser auch zu den geänderten Korrelationen in den ersten Jahrzehnten dieses neuen Jahrtausends beigetragen, als Aktien- und Rentenmärkte vielfach gleichzeitig positive Wertentwicklungen lieferten. Doch das ist vorbei. Und im Zentrum der Diskussion steht die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, China, die nun Ziel erheblicher Handelssanktionen der USA geworden ist, weitere, seitens der USA aber auch anderer G7-Staaten, könnten folgen.

China im Fokus einer neuen Welle von Handelssanktionen.

Dr. Jürgen Callies, Head of Research

Die bereits begonnene und sich weiter abzeichnende Fragmentierung der Weltwirtschaft haben wir an dieser Stelle schon öfters diskutiert. Doch „Reshoring“, „Friendshoring“ etc. sind eine komplett andere Sache als Zölle, Export- oder Lieferverbote und andere „kreative“ Handelsrestriktionen. Ökonomisch wirken diese wie zusätzliche, vom jeweiligen Konsumenten letztendlich zu tragende Steuern, die neben den inflationären Impulsen, die sie auslösen, auch dauerhaft Absatzmärkte gefährden. Während „Reshoring“ und „Friendshoring“ ein sukzessiver, zumindest auch von einigen marktwirtschaftlichen Prinzipien geleiteter Prozess ist, sind Handelssanktionen ein in kurzer Zeit wirkender externer Schock.

Seit Jahresanfang haben wir seitens der USA ein breites Spektrum an Sanktionen gegen China gesehen. Unter anderem wurden zum einen noch stärker Verbote hinsichtlich hochentwickelter Computerchips oder auch Maschinen, die diese herstellen können, durchgesetzt oder verlängert. Da wurde festgelegt, dass, wenn der chinesische Eigentümer von TikTok, Bytedance, sich nicht aus seiner US-Tochter zurückzieht, TikTok in den USA verboten wird.

Mitte Mai stand die Überprüfung der erstmals unter Präsident Trump 2018 eingeführten, sogenannten Section 301 Zölle gegen China an. Wie erwartet wurden sie bestätigt, zudem aber zusätzliche oder erhöhte Zölle angekündigt, insbesondere auf Elektrofahrzeuge, Batterien, Halbleiter und Solarzellen.

Diese Entscheidung ist bislang eine US-Entscheidung, jedoch hat die EU-Kommission seit Oktober letzten Jahres eine Untersuchung zu unlauterem Wettbewerb/Dumping bei chinesischen Exporten von Elektroautos eigeleitet, was auch seitens der EU zu Strafzöllen führen könnte. Europa ist geografisch der wichtigste Markt für China und deswegen aus chinesischer Sicht noch mehr im Fokus als die USA. Gerade mit Hinblick auf Elektroautos haben Regierungschefs aus Europa China vorgeworfen, mit staatlich geförderten Billigexporten den Wettbewerb zu verzerren. Die Positionen sind naturgemäß kontrovers: Während die G7-Politiker von Suche nach einem fairen Wettbewerb sprechen, sehen die Chinesen es als Versuch, ihre erfolgreiche Industrie zu beschneiden.

Haben die Märkte diese Entwicklung bislang ignoriert? Nein, wie alles im Leben ist es eine Frage der Dimensionierung. Bislang bezog sich der Fokus weitgehend auf Hochtechnologie und die EU war in vielen Bereichen nicht im Gleichschritt mit den USA unterwegs. Das heißt, es gab Verlierer, aber auch Gewinner unter den betroffenen Firmen, volkswirtschaftlich aggregiert betrachtet hielt sich der Schaden jedoch in Grenzen, denn noch machen die betroffenen Sektoren einen überschaubaren Anteil der chinesischen Exporte aus.

Aktuell kommen aber zwei Komponenten erschwerend hinzu: Hier geht es nicht um den Transfer westlicher Technologien, sondern um Chinas Errungenschaften in der grünen Technologie und der in kurzer Zeit dort erreichten führenden Rolle, die sich über die Exporterfolge manifestiert. Fokus der neuen Zölle sind vor allem Elektrofahrzeuge, Lithium-Ionen-Batterien und Solarmodule. Und es geht darum, dass die USA versuchen, die Europäer und die etablierten Industrieländer Asiens ins Schlepptau zu nehmen.

Nachdem die Chinesen in der Vergangenheit jegliche Handelssanktionen mit eigenen Restriktionen, wenn auch etwas reduzierter, beantwortet haben, deutet sich hier ein Prozess an, der Fragmentierung beschleunigen und ein Umfeld höherer Inflation und niedrigen Wachstums begünstigen könnte. Die Frage Handelskrieg oder nicht dürfte aber letztendlich auch vom Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen abhängen. Donald Trump, der derzeit führende Kandidat für die nächste Präsidentschaft ab Januar 2025, hat schon Zölle von 60 Prozent oder mehr auf alle chinesischen Güter angedroht, das wäre sicherlich der Startschuss für einen harten Handelskrieg schon im ersten Jahr seiner zweiten Amtszeit. Diese Größenordnung würde wohl auch nicht spurlos am Kapitalmarkt vorbeigehen, ein Grund mehr, den Wahlen im November gebührende Aufmerksamkeit zu zollen.

Künstliche Intelligenz vs. Dotcom-Blase: Wo stehen wir im Hype-Zyklus?

Seit dem kometenhaften Aufstieg von Nvidia in den 1 Billion Dollar Club wurde viel darüber geschrieben, ob der aktuelle Hype um die KI-Aktien der Dotcom-Blase der Neunziger Jahre ähnelt. Künstliche Intelligenz ist, wie das Internet, eine Allzwecktechnologie. Die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten lassen der Fantasie der Investoren freien Lauf, was sich in Kurssteigerungen tatsächlicher und vermeintlicher Profiteure widerspiegelt. Während aber die massiven Infrastrukturinvestitionen der Dotcom-Blase vor allem durch Fremdkapital finanziert wurden, finden wir diesmal eine Vielzahl hoch profitabler Firmen mit starken Bilanzen vor, die ihre Investitionen aus dem operativen Cashflow bezahlen können. Um einzuordnen, in welcher Phase eines Hype-Zyklus wir uns befinden könnten, sollten wir uns die Chronologie der Dotcom-Blase noch einmal vor Augen führen.

Als Startpunkt der Euphorie um Internetaktien wird oft der Börsengang von Netscape im Jahr 1995 genannt. Erwartungen und Bewertungen sind bis 1998 stetig gestiegen, bis die Russlandkrise und die Vorgänge um LTCM die globalen Kapitalmärkte belasteten und zu starken Kursverlusten an der Nasdaq führten. Um den Stress im globalen Finanzsystem zu reduzieren und einer weiteren Aufwertung des US-Dollars entgegenzuwirken, senkte die Federal Reserve den Leitzins in einer Zeit, als die US-Konjunktur weiter heiß lief. Das war der Startschuss für den irrationalen Überschwang, in dem sich der Nasdaq 100 Index vom Tief im Oktober 1998 bis zum Hoch im März 2000 mehr als vervierfachte. Danach folgte die große Ernüchterung und der Index fiel auf das Level von 1998 zurück.

Knapp 30 Jahre später muss man sich die Frage stellen, in welchem Stadium wir uns aktuell befinden. Den ersten Kursanstieg von KI-Profiteuren haben wir hinter uns, aber Bewertungsniveaus sind nicht offensichtlich irrational wie im Jahr 2000, da auch die Ergebnisse der meisten Unternehmen gestiegen sind. Die beste historische Parallele findet man im Jahr 1998: Relativ starkes Wachstum in den USA im Verhältnis zum Rest der Welt, (potenzielle) Zinssenkungen und Bewertungen, die zwar schon ein optimistisches Bild einpreisen, aber in großen Teilen eine fundamentale Basis haben.

Der Hype muss also noch nicht vorbei sein, ein gutes Risikomanagement wird aber immer mehrere Szenarien in Betracht ziehen. Die aus unserer Sicht wahrscheinlichsten sind:

  1. Die Euphorie rund um KI und damit auch die Kurse von KI-Profiteuren haben ihr Hoch bereits gesehen.
  2. Das tatsächliche Potenzial dieser Allzwecktechnologie ist auch nach der starken Rallye noch nicht in den heutigen Aktienkursen reflektiert.
  3. Ähnlich wie 1999 durchlaufen wir zunächst noch eine Phase von spekulativem Überschwang.

Wir bleiben gespannt, welche Parallelen zu den späten Neunzigern wir im Jahresverlauf beobachten können …

Fabian Bachl, Portfolio Manager Globale Aktien

Ein Espresso mit …

Evert van den Brink, Director Institutional Sales, im Gespräch mit Volker Zinkl, Head of Real Estate Asset Management International

EB: An den Immobilienmärkten gerät, nach langer Zeit relativer Ruhe, wieder eine steigende Zahl von Objekten in Schieflage. Wie sind denn die Kreditgeber darauf vorbereitet, jetzt agieren zu müssen?
VZ: Mit dem veränderten Zinsniveau muss ein immer größerer Teil der Cashflows von Immobilien für den Schuldendienst verwendet werden. Die parallel vielfach rückläufigen Immobilienbewertungen und Mieteinnahmen führen dazu, dass vermehrt Kredit-Covenants gerissen und Kredite notleidend werden. Das ist historisch keine neue Situation, aber der lange Boom am Immobilienmarkt hat dazu geführt, dass viele Kreditgeber nicht mehr über ausreichend eigene Ressourcen und entsprechendes Know-how verfügen, um die entstehenden Workouts zu managen.

EB: Es werden Finanzierungsspezialisten vorgehalten, aber nicht genügend Immobilienfachleute?
VZ: Genau. Es fehlt die praktische Erfahrung in der Fertigstellung und Bewirtschaftung der Objekte. Dies erfordert, im Gegensatz zu anderen Finanzanlagen, eine spezielle Kompetenz. Im Mittelpunkt der Immobilien steht kein anonymer Cashflow, sondern ein Mieter, dessen Bedürfnisse eine Schlüsselrolle sowohl für regelmäßige Einnahmen als auch bei der Verlängerung von Verträgen – und damit bei Objektbewertungen – spielen. Nur wenn ich nah an der Immobilie und ihren Nutzern bin, kann ich das Potenzial einer Liegenschaft über Zeit wirklich heben.

EB: Was hat dieses Kompetenzdefizit erzeugt?
VZ: Zum einen natürlich die Steigerung der Effizienz im Kreditgeschäft, sicherlich aber auch die Anonymisierung innerhalb der Wertschöpfungskette, also zum Beispiel durch den Weiterverkauf von Darlehen. In der Vergangenheit waren die Workout-Abteilungen ein wichtiger Teil des Kreditprozesses, die einen spürbaren Beitrag zur Profitabilität des Geschäftsfeldes leisten konnten. Dieser Aspekt scheint aufgrund der langen Boomphase etwas aus dem Blickwinkel geraten zu sein.

EB: Wie ist die MEAG hier aufgestellt?
VZ: Wir verfügen über eigene Ressourcen entlang der gesamten Immobilien-Wertschöpfungskette. Neben der Kompetenz bei Transaktionen und Immobilien-Developments verfügt die MEAG mit ihrer Asset- und Propertymanagement-Abteilung über umfangreiche Expertise in der erfolgreichen und umfassenden Bewirtschaftung von Immobilien. Diese Leistungen bieten wir im übrigen auch Dritten an, die einen erfahrenen und seriösen Dienstleister für ihren Bestand suchen.

Ökonomische Auswirkungen des Klimawandels

Der weltweite Kampf gegen den Klimawandel wird volkswirtschaftlich mit erheblichen Kosten und Einschränkungen verbunden sein. Über die Frage, wie diese Effekte quantifiziert werden können und welche Auswirkungen sie auf makroökonomische Rahmenbedingungen und Kapitalmärkte haben könnten, spricht Max Bader, Senior Client Relationship Manager, mit Andreas Reuß und Sophia Tröger, beide MEAG Research.

MB: Zu den wesentlichen Klimaszenarien gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Untersuchungen und Publikationen, die sich mit den Auswirkungen auf wirtschaftliche Aktivität und Wachstum auseinandersetzen. Ihr beide beschäftigt euch im MEAG Research mit diesem Thema. Was ist denn der Stand dieser Diskussion?
AR: Es gibt eine Vielzahl von Szenarien, aber materiell kann man diese aus unserer Sicht auf zwei wesentliche reduzieren: Jetzt etwas tun und dafür kurz- und mittelfristig hohe Kosten in Kauf zu nehmen, oder nichts – beziehungsweise verspätet oder wenig – tun und langfristig noch größere, irreversible Schäden und dementsprechend höhere Kosten hinzunehmen. Schon ab einer Erderwärmung von 1,5 bis 2 Grad Celsius vermuten Forscher das Auftreten von ersten Kipppunkten, wie etwa das Abschmelzen von Eisbergen oder das Auftauen von Permafrostböden.
ST: Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass wir hier über sehr langfristige Prozesse sprechen. So dürfte sich die Temperatur auch in den nächsten Jahrzehnten selbst dann noch erhöhen, wenn wir alle Emissionen sofort stoppen.

Max Bader

Max Bader

Senior Client Relationship Manager Inst. Clients

Der Klimawandel ist ein Feld für strategische Kapitalanlageentscheidungen.

MB: Warum ist es wichtig, die Klimadiskussion auch im Kontext von Kapitalanlagen zu betrachten?
ST: Durch den Klimawandel entstehen neue und noch schwer vorhersehbare Risiken, die bei Investitionsentscheidungen zunehmend berücksichtigt werden sollten. Einerseits durch die temperaturinduzierten Klimaschäden, andererseits durch den Umbau der Realwirtschaft, hin zu mehr Emissionsvermeidung. Wenn wir beispielsweise den Ausstoß von CO2 verteuern, um die CO2-Vermeidung zu incentivieren, wird sich das tendenziell erhöhend auf die Inflationsraten auswirken. Und wir reden hier nicht über Randaspekte. Ich glaube, dass vielen nicht bewusst ist, wie massiv die Politik steuernd eingreifen müsste, um die Erderwärmung wirkungsvoll zu begrenzen.

MB: Wo steht die akademische Diskussion bei dem Thema?
AR: Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Studien zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Führend waren hierbei, beginnend in den 1970ern, die Arbeiten und Modelle von William D. Nordhaus, der dafür 2018 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Forschung entwickelt sich seither kontinuierlich weiter.

MB: Divergieren diese Studien und ihre Resultate sehr stark oder bildet sich ein Konsens heraus?
ST: Die meisten Modelle zeigen für ähnliche Szenarien eine vergleichbare Wirkungsrichtung auf, die Höhe der Klimaeffekte ist aber sehr unterschiedlich. Letztlich muss man aber immer wieder herausstreichen, dass es sich hier nur um Simulationen handelt, die uns dabei helfen können, künftige Belastungen aus dem Klimawandel aufzuzeigen und zu quantifizieren, die wir aber permanent weiterentwickeln und an die Realitäten und neue Erkenntnisse anpassen müssen.

Sophia Tröger

Sophia Tröger

MEAG Research

Kostspielige Klimaschutzmaßnahmen reduzieren das Wirtschaftswachstum.

AR: Wir haben uns bei der Arbeit im MEAG Research bewusst für das Dynamic Integrated Model of Climate and the Economy (DICE-Modell) von Nordhaus, entschieden, das zu den etwas älteren und auch eher übersichtlich strukturierten Modellen hinsichtlich der Anzahl der Variablen und Modellgleichungen gehört. Jedoch ist es deswegen auch besser auf eigene Annahmen und Erkenntnisse anpassbar. Es betrachtet und modelliert die globale Entwicklung von BIP, Temperatur und CO2-Preisen. Eine Eigenschaft des Modells ist, dass eine Beschränkung der Temperatur technisch auf maximal 2,5 Grad möglich ist.
ST: Wir haben in unseren Analysen das globale DICE-Modell auf zwei Arten erweitert: Erstens haben wir die Ergebnisse auf die Regionen USA, Eurozone und China mithilfe einer regionalspezifischen Schadensfunktion heruntergebrochen. Zweitens haben wir aus den resultierenden CO2-Preisen und aus der Auswirkung der Klimaveränderung auf die Wirtschaftsleistung einen klimainduzierten Inflationsanteil sowie den Einfluss auf verschiedene kapitalmarktrelevante Größen abgeleitet.

MB: Was sind denn die wesentlichen Erkenntnisse eurer Berechnungen?
AR: Wenn man die Erderwärmung unter circa 2,5 Grad halten und die erforderlichen Maßnahmen nur über den Preis steuern wollte, könnte sich der globale durchschnittliche CO2-Preis – derzeit geschätzt 2 bis 6 US-Dollar pro Tonne, da es in vielen Ländern aktuell gar keinen CO2-Handel gibt – über zwei bis drei Jahrzehnte verhundertfachen. Dies würde sich natürlich als spürbarer Inflationsimpuls bemerkbar machen und zu Lasten des Konsums gehen.

MB: Wie verhalten sich denn die beiden Szenarien – Erwärmung begrenzen auf circa 2,5 Grad versus nichts tun und die Schäden in Kauf nehmen – in eurem Modell zueinander?
ST: Wir haben die Auswirkungen auf das BIP-Level simuliert und stellen fest, dass sich in den nächsten sechs bis sieben Jahrzehnten die eindeutig höhere Belastung aus dem klimafreundlichen Szenario – das ist die grüne Linie in unserer Grafik – für die Weltwirtschaft ergibt und sich dies erst nach dem Jahr 2085, dann allerdings dramatisch, umkehrt. Anders formuliert, die Kosten, die jetzt bei konsequentem Handeln gegen zunehmende Erderwärmung auf uns zukommen, werden in den nächsten Jahrzehnten die Kosten einer abwartenden Haltung deutlich übersteigen. Über einen Zeitraum jenseits von circa 60 Jahren stellt dies aber die einzige Möglichkeit dar, den ökonomischen Schaden zu begrenzen. Nur zur Klarstellung: Die Daten zeigen keine BIP-Prognose auf, sondern die Auswirkungen des Klimawandels für zwei Szenarien auf das zum jeweiligen Zeitpunkt gegebene BIP.

Klimaszenarien: Output-Verlust
Quelle: MEAG Research, eigene Berechnungen basierend auf dem DICE-2016R Modell, "Revisiting the social cost of carbon: Estimates from the DICE-2016R model, Proceedings of the U.S. National Academy of Sciences, 2015"

MB: Keine einfache Aufgabe für Politik und Gesellschaft, die Menschen angesichts des langen Zeithorizonts von den damit verbundenen Einschränkungen zu überzeugen … Gibt es die Alternative, Maßnahmen weniger konsequent oder später zu beginnen und auf technischen Fortschritt zu hoffen?
ST: Mit den derzeitigen Erkenntnissen: Nein. Das vorher beschriebene zeitverzögerte Wirken von Maßnahmen bedeutet, dass die bereits heute vorhandene CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu einem weiteren Temperaturanstieg führen wird. Dieser Zeitfaktor macht Emissionsvermeidungsmaßnahmen relativ zeitnah erforderlich, um den Temperaturanstieg noch signifikant zu begrenzen. Das Modell berücksichtigt übrigens bereits den technischen Fortschritt, indem es unterstellt, dass ab der Mitte des nächsten Jahrhunderts nicht nur neue CO2-Emissionen vermieden werden, sondern sogar CO2 aus der Atmosphäre absorbiert werden kann.

MB: Welche Parameter des Modells sind aus eurer Sicht noch wichtig?
ST: Ein bedeutender Faktor, der sich über Zeit verändern kann, ist die Bevölkerungsentwicklung. Und natürlich sind nicht nur Politik, Regulierung und Verbraucherverhalten entscheidend für den tatsächlichen künftigen Klimapfad. Auch die angesprochenen technologischen Entwicklungen könnten eine Rolle spielen.
AR: Wichtig ist auch, dass die Kosten für die akuten Klimarisiken aus Naturkatastrophen und große, damit verbundenen Schadensereignisse im DICE-Modell nicht berücksichtigt sind. Sie würden den Preis des Szenarios „Nichtstun“ weiter erhöhen. Angesichts des vermuteten Anstiegs der Großschäden in den letzten Jahren ist dies ein nicht zu unterschätzender Faktor, der allerdings schwer zu modellieren ist. Auf diesem Feld haben wir den Vorteil, uns mit Experten der Munich Re austauschen zu können.

Andreas Reuß

Andreas Reuß

MEAG Research

Eine Häufung von Naturkatastrophen kann zu einem schnellen Umdenken führen.

MB: Welche Erkenntnisse aus eurer Arbeit können für Entscheider bei der Kapitalanlage langfristig relevant werden?
AR: Auch wenn derzeit global kein einheitlich konsequentes Handeln sichtbar ist, kann eine Häufung von Naturkatastrophen zu einem schnellen Umdenken führen und die Staaten zu einem stärkeren globalen Handeln, wie es das circa 2,5 Grad-Szenario vorsieht, bewegen. In diesem Fall sollten wir uns auf eine lange Phase strukturell stärkerer Inflation, höherer Unternehmensanleiherenditen, niedrigerer Realzinsen und geringerer Aktien-Total-Returns einstellen.
ST: Bei einem circa 2,5 Grad-Szenario werden die ökonomischen Auswirkungen in Form von geringerem Wachstum bei höherer Inflation über Jahrzehnte spürbar sein. Kostspielige Klimaschutzmaßnahmen reduzieren das Wirtschaftswachstum, da sie Kosten darstellen und daher Ressourcen reduzieren, die andernfalls in produktivitätssteigernde Investitionen oder Konsum geflossen wären. Auf einen langen Zeithorizont gesehen, kehrt sich dies allerdings um, die Aufwände werden geringer und künftige Wirtschaftszyklen werden ohne strukturelle Belastungen durch den Klimawandel auskommen. Ganz anders stellt sich das natürlich dar, wenn nicht gehandelt wird. Dann werden die langfristigen Folgen für die Volkswirtschaften dramatisch ausfallen.

MB: Damit ist der Klimawandel ein Feld für die strategischen, sehr langfristigen Kapitalanlageentscheidungen?
AR: In jedem Fall. Der Zeitraum der Entscheidungen umfasst eher das obere Ende von Planungshorizonten für eine Organisation. Taktisch sind die beschriebenen Effekte aber natürlich schon heute zu berücksichtigen, zum Beispiel hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit und Resilienz einzelner Investments. Eine konsequente Betrachtung der klimapolitischen Risiken bei allen Investitionsentscheidungen erscheint uns daher geboten.

Mittelfristige Renditen bei Anleihen

„Es gibt endlich wieder Zinsen“, so jubeln aktuell traditionelle Anleger in festverzinslichen Wertpapieren. Die Freude ist nachvollziehbar, denn in der Tat warten europäische Staatsanleihen zurzeit mit Renditeversprechen von durchschnittlich circa 3,25 Prozent auf – der höchste Wert seit über zehn Jahren. Doch welche tatsächliche Performance lässt sich über die nächsten drei bis fünf Jahre erwarten? Und wie steht es um die damit verbundenen Risiken?

Jakob Reithmann

Jakob Reithmann

Senior Portf. Manager Active Fixed Income Macro

Europäische Staatsanleihen wirken zurzeit attraktiver als noch zu Beginn des Zinserhöhungszyklus.

Zunächst ein kurzer Exkurs: Analog zum Aktienmarkt lässt sich die Performance gewöhnlicher Anleihen in zwei wesentliche Teile unterscheiden: Eine Einkommens- sowie eine Kurskomponente. Die Einkommenskomponente besteht aus allen Zahlungen, die der Investor während der Haltedauer von seinem Investment erhält. Diese bestehen bei Aktien aus den ausgeschütteten Dividenden und bei Anleihen aus dem bereits bei Ausgabe des Papiers festgelegten Kupon. Die Kurskomponente besteht aus allen Preisveränderungen, die bei Aktien zum Beispiel durch Aktienrückkäufe, gesteigerte Bewertungen sowie verbesserte Gewinnaussichten ausgelöst werden können. Bei Anleihen dagegen kommen diese Preisbewegungen primär von einer veränderten Zinssituation. Dabei wird wiederum zwischen zwei Effekten unterschieden.

Auf der einen Seite bewegen sich die Anleihepreise durch eine Veränderung der risikofreien Zinsen sowie der jeweiligen Risikoaufschläge. Die Stärke dieser Veränderung ist abhängig vom Maß der Duration, die bei europäischen Staatsanleihen in den letzten 20 Jahren zwischen 6 und 9 lag. Dies bedeutet, dass sich die Kurse bei einer Veränderung der Zinsen von 1 Prozent um etwa 6 bis 9 Prozent bewegen. Dies bezeichnet man daher als Zinssensitivität. Auf der anderen Seite werden die Anleihepreise rein mechanisch dadurch beeinflusst, dass das Fälligkeitsdatum des Papiers jeden Tag etwas näher rückt. Und da kürzere Laufzeiten typischerweise mit niedrigeren Zinsen einhergehen, profitieren Anleger im Regelfall von dieser sogenannten Roll-Prämie.

Welche der beiden Komponenten überwiegt, hängt dabei von der aktuellen Zinssituation sowie der Stärke der Zinsveränderungen ab. Dies lässt sich anhand des Kapitalmarktjahrs 2022 gut illustrieren. Zu Beginn des Jahres lag der durchschnittliche Kupon europäischer Staatsanleihen bei etwa 2 Prozent, während die Einstandsrendite nur 0,2 Prozent betrug. Da diese Papiere darüber hinaus im Schnitt eine Laufzeit von über 10 Jahren sowie eine Zinssensitivität von circa 8,6 aufwiesen, bestand nur ein sehr geringer Puffer vor den Auswirkungen steigender Zinsen – alles in allem also eine sehr fragile Situation. Aus dieser Perspektive erscheint es wenig überraschend, dass Anleger in europäische Staatsanleihen mit einer Performance von circa -18,5 Prozent das schlimmste Jahr aller Zeiten erlitten. Doch wie sieht die aktuelle Situation aus?

Wie eingangs erwähnt, bieten europäische Staatsanleihen zurzeit Renditen von knapp 3,25 Prozent sowie eine reduzierte Zinssensitivität, die nun bei etwa 7 liegt. Der Anleger ist also deutlich besser vor eventuellen Zinssteigerungen geschützt. Und auch der Blick in die Historie macht Hoffnung. So lag die mittelfristige Performance des Anleihemarktes nach dem ersten Zinssenkungsschritt der EZB bei circa 5,5 Prozent pro Jahr, in etwa 2 Prozent höher als im breiten Durchschnitt der letzten 25 Jahre. Sind diese Zahlen auch in diesem Zyklus realistisch?

Prinzipiell wird die Entwicklung der Anleihemärkte maßgeblich durch den weiteren Inflations- und Wachstumspfad beeinflusst. Sollte sich die Inflation ungeachtet der aktuellen wirtschaftlichen Erholung weiterhin abschwächen, wird die EZB dem ersten Zinsschritt noch mehrere Senkungen folgen lassen können. Dies sollte gerade bei nur moderaten Wachstumsaussichten für fallende Zinsen und damit für Unterstützung der europäischen Rentenmärkte sorgen. Falls sich die Inflation jedoch, zum Beispiel aufgrund eines weiterhin sehr festen Arbeitsmarktes, im Zuge einer sich beschleunigenden Weltwirtschaft nicht zeitnah abkühlen sollte, wird die EZB nur sehr behutsam voranschreiten. Angesichts der Markterwartungen von nur fünf Zinssenkungen über die nächsten fünf Jahre erscheint dieses Szenario bereits zu einem guten Teil in den Preisen reflektiert.

Alles in allem wirken europäische Staatsanleihen zurzeit attraktiver als noch zu Beginn des Zinserhöhungszyklus der EZB vor etwa zwei Jahren. Mit verbesserten Einkommenschancen aufgrund stark gestiegener Zinsen, geringerer Zinssensitivitäten sowie moderaten Markterwartungen hinsichtlich des weiteren EZB-Pfads sollte auch in diesem Zyklus, gerade unter Chance-/Risikoaspekten, eine gute Performance erwartet werden können. Dabei stehen zurzeit insbesondere Investitionen in kurzlaufende Papiere aufgrund der hohen Einkommensaussichten sowie nur geringfügiger Zinsrisiken im Vordergrund.

Unser Börsen-Podcast Kapitalmarkt kompakt mit unseren erfahrenen Kapitalmarktexperten Dr. Jürgen Callies und Alexander Hauser:
 

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